Die Pokémon-Episode, die bei 685 Zuschauern Anfälle auslöste

Laura Wissiak

3 Min. Lesezeit

Am 26. März war Purple Day – der internationale Tag zur Sensibilisierung für Epilepsie. Ich habe auf LinkedIn ein Tool namens PEAT (Photosensitive Epilepsy Analysis Tool) vorgestellt, das Videos auf potenzielle Risiken für Menschen mit lichtempfindlicher Epilepsie untersucht – und plötzlich ging's in den Kommentaren um die eine Pokémon-Folge.

Photosensitives Epilepsie Analyse Tool

Passend zum Purple Day: Lasst uns ein bisschen über lichtempfindliche Anfallsleiden aufklären und was wir tun können, um Webinhalte sicherer und zugänglicher zu gestalten. PEAT (Photosensitive Epilepsy Analysis Tool), entwickelt vom Trace Center, ist ein kostenloses Open-Source-Tool, mit dem man prüfen kann, ob Animationen oder Videos potenzielle Anfälle auslösen könnten.

Das Tool analysiert Web- und Software-Inhalte und erkennt blinkende Effekte oder schnelle Hell-Dunkel-Wechsel, die gefährlich sein und epileptische Anfälle auslösen könnten.

Tipp: Prüft vor allem Inhalte mit Blitzlichtern oder schnellen Übergängen – Sicherheit geht vor!

Computer-Krieger Porygon

Wie sich herausgestellt hat, ist die Geschichte mit der Anfall-auslösenden Pokémon-Folge kein Mythos. Es ist tatsächlich passiert – Folge 38: Dennō Senshi Porygon (kein offizieller deutscher Titel. Übersetzt "Computer-Krieger Porygon"), erstmals ausgestrahlt am 16. Dezember 1997. Und ja, Bulbapedia hat alle relvanten Informationen dazu:

Die Folge wurde berüchtigt, weil sie bei vielen Zuschauern gesundheitliche Probleme verursachte – darunter epileptische Anfälle, Erbrechen, gereizte Augen und mehr – wegen eines starken Stroboskop-Effekts. Und das bei seiner ersten und einzigen Ausstrahlung. Die Folge wurde nie wieder ausgestrahlt oder veröffentlicht. Und danach gab’s erstmal vier Monate Pause für die Serie.

Hauptsächlich betroffen waren Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren. Laut einer Umfrage der japanischen Feuer- und Katastrophen Management Argentur [Shōbōchō] wurden 685 Menschen mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht – 310 männlich, 375 weiblich. 208 wurden stationär aufgenommen, drei davon waren bewusstlos.

Ach ja, und Wikipedia zeigt tatsächlich den 4-Sekunden-Clip in Originalgeschwindigkeit – bisschen merkwürdig, oder?

die berüchtigte Szene, in der Pikachu seinen Donnerblitz abschießt, mit blau-roten Strobe-Effekten

Nach dem Vorfall entfernte das Animationsstudio die Stroboskop-Effekte aus Pikachus Donnerblitz. Und für Jahre lief vor jeder Anime-Folge in Japan dieser Hinweis: „Wenn du Anime schaust, mach das Licht an und geh nicht zu nah an den Bildschirm ran.“ (「テレビアニメを見るときには、部屋をあかるくして近づきすぎないようにしてみてくださいね。」)

Eine Studie über 103 Patienten drei Jahre nach dem Ereignis zeigte: Nur 22 % hatten danach noch einmal Anfälle. Davon waren 15 klar visuell ausgelöst. Und 56 % hatten bereits Epilepsie. Nur 25 dieser Personen (24 %) hatten vor dem Vorfall je einen Anfall gehabt.

Lichtempfindliche Anfallsleiden

Lichtempfindliche Anfallsleiden werden durch blitzendes oder flackerndes Licht ausgelöst – oder durch starke visuelle Muster. Epilepsie ist nur eine Form davon.

Andere Arten von Anfällen

Grundsätzlich unterscheidet man Fokale und Generalisierte Anfälle. Fokale Anfälle beginnen in einem Teil des Gehirns. Je nach Auswirkung unterscheidet man zwischen einfachen fokalen Anfällen (Das Bewusstsein ist erhalten) und komplexen fokalen Anfälle (mit Bewusstseinsstörung). Generalisierte Anfälle betreffen sofort beide Gehirnhälften, meist mit Bewusstlosigkeit. Der bekannteste ist der Tonisch-klonische-Anfall (Grand Mal):

  • Tonisch: plötzliche Muskelsteifheit, meist in Armen und Beinen, was zu einem Fallen und Verletzungen führen kann.
  • Klonisch: rhythmisches Zucken (Klonische Anfälle finden allein ohne der Muskelsteifheitsphase der tonisch-klonischen Anfälle statt).

Dann gibt’s noch:

  • Myoklonische Anfälle: Kurze, plötzliche Muskelzuckungen, normalerweise ohne Bewusstseinsverlust
  • Atonische Anfälle (Drop Attacks): Plötzlicher Muskelverlust, der oft mit Sturz oder Zusammenklappen einhergeht, was zu Kopfverletzungen führen kann.

Logisch, oder? Myoklonische Anfälle sind eine kleinere Version der klinischen Anfälle, und atonische Anfälle sind das Gegenteil von tonischen Anfällen, bei denen die Muskeln nicht steif sind, sondern ihren Tonus verlieren. Es gibt noch eine weitere Art von generalisierten Anfällen, die anders aussieht als die oben genannten:

Absencen (Petit Mal): Kurzes "Wegtreten" für 5–15 Sekunden ohne Krämpfe, aber mit Verwirrung.

SUDEP

Eine Sache, die auch ich neu gelernt habe durch die LinkedIn Diskussion ist SUDEP – plötzlicher Tod bei Epilepsie.

SUDEP ist ein erstzunehmendes Risiko für alle Menschen mit Epilepsie. Etwa 1 von 1000 Menschen mit Epilepsie stirbt jährlich daran. Aber: Mit einfachen Maßnahmen kann man das Risiko deutlich senken.

Die Epilepsie-Stiftung bietet Erste-Hilfe-Infos für Anfälle, auf Englisch – definitiv lesenswert!


Dieser Post wurde ursprünglich auf English im a11y News Newsletter gepostet.